Betriebseigene Risikofaktoren kennen!
Schwanz- und Ohrenbeißen ist eine komplexe Verhaltensstörung mit multifaktorieller Ursache. Daher gibt es kein allgemeingültiges Patentrezept um Schwanzbeißen zu vermeiden. Verschiedene Risikofaktoren in unterschiedlichem Ausmaß treffen in Betrieben aufeinander. Bevor ein Kupierverzicht in Betracht gezogen wird, sollten Sie Ihre betriebseigenen Risikofaktoren kennen und soweit wie möglich reduzieren. Die folgenden Schritte sollen Sie für den Weg zum Kupierverzicht vorbereiten.
Schritt 1: Risikoanalyse und Optimierung der Haltungsumgebung in Ihrem Betrieb
- Suchen Sie sich fachliche Unterstützung.
- Führen Sie eine Risikoanalyse auf Ihrem Betrieb durch.
- Führen Sie einen Stallklimacheck durch.
- Führen Sie einen Tränkewassercheck (überprüfen Sie die Qualität aber auch die Zugänglichkeit und richtige Einstellung Ihrer Tränken).
- Beheben oder optimieren Sie Ihre betriebsindividuellen Schwachstellen, soweit möglich.
- Überprüfen Sie ob in Ihrem Betrieb bei kupierten Tieren Schwanz- oder Ohrenbeißen auftritt. Wenn ja, beginnen Sie nochmals mit der Optimierung Ihrer Haltungsumgebung.
- Überprüfen Sie ob bei Ihren unkupierten Tieren Schwanz- oder Ohrennekrosen auftreten. Wenn ja, beginnen Sie nochmals mit der Optimierung Ihrer Haltungsumgebung. Beachten Sie insbesondere Faktoren, die den Stoffwechsel beeinflussen (Tiergesundheit, Fütterung, Angebot von Raufutter, Möglichkeit zur Thermoregulation).
- Arbeiten Sie eng mit Ihrem Ferkelerzeuger zusammen.
- Informieren Sie sich bei Ihrem Ferkelerzeuger über das Auftreten von Nekrosen und Klauengesundheit der Saugferkel in den ersten Lebenstagen.
- Nur unauffällige Würfe sollten für einen Kupierverzicht in Betracht gezogen werden. Gibt es häufig auffällige Würfe, optimieren Sie auch die Haltungsumgebung für die Sauen in der Ferkelerzeugung (Raufutterangebot, Wärmebelastung reduzieren, Wasserangebot optimieren).
Schritt 2: Vorbereitung für den Einstieg in den Kupierverzicht von einer Tiergruppe/Bucht
- Wählen Sie eine Bucht in der Ferkelaufzucht aus, die Sie für den Einstieg zum Kupierverzicht vorbereiten.
- Diese Bucht sollte für Sie leicht zugänglich liegen, so dass Sie die Tiere in der Bucht bestmöglich während Ihres Stallrundgangs beobachten können und ohne großen Aufwand Beschäftigungsmaterial nachfüllen können.
- Sorgen Sie in dieser Bucht für optimierte Haltungsbedingungen
- Bieten Sie mehr Tränken an (optimalerweise Beckentränken). Achten Sie darauf, dass die Tränken jederzeit zugänglich sind. Hilfreich ist das Anbringen von Spielketten im Bereich der Tränke, so dass Aktivität in diesem Bereich stattfindet und sich keine Tiere vor der Tränke ablegen und diese damit blockieren.
- Stellen Sie mehr Platzangebot zur Verfügung (statt gesetzlichen Mindestanforderungen bieten Sie bspw. 0,5 m² pro Aufzuchtferkel an).
- Schaffen Sie Möglichkeiten zur Thermoregulation (z. B. Einsatz von Betonspalten, Angebot einer Minisuhle, Nachrüstung eines Deckels über dem Liegebereich).
- Achten Sie auf ein weites Tier-Fressplatz-Verhältnis und eine optimierte Rationsgestaltung (Qualität beachten, Toxine und Vermahlungsgrad).
- Bieten Sie organisches Beschäftigungsmaterial an, das einen diätetischen Effekt hat. Geeignet ist vor allem Heu (2. Schnitt, da dies weicher ist und besser angenommen wird). Achten Sie darauf, dass das Heu immer zur Verfügung steht.
- Beziehen Sie alle Beteiligten mit ein.
- Der Ferkelerzeuger sollte nur unauffällige Würfe vorbereiten und bei diesen Tieren die Schwänze nur wenig kupieren oder auf das Kupieren verzichten.
- In der Ferkelaufzucht sollten diese ausgewählten Tiere in die vorbereitete Bucht kommen.
- Außerdem müssen Sie sicherstellen, dass auch Ihr Mäster eine entsprechend vorbereitete Bucht hat und Ihnen Tiere mit längeren oder langen Schwänzen auch abnehmen wird/kann.
- Reden Sie mit Ihrem Tierarzt. Dieser wird evtl. auch im Notfall (siehe Notfallkoffer) gebraucht.
- Nehmen Sie sich Zeit für die Tierbeobachtung. D.h. beginnen Sie zum Beispiel nicht in der Erntezeit!
- Halten Sie einen „Notfallkoffer“ bereit. Haben Sie den „Notfallkoffer“ griffbereit.
Schritt 3: Steigen Sie in kleinen Schritten in den Kupierverzicht ein
- Verringern Sie erst nur die kupierte Länge des Schwanzes und kupieren weiterhin:
- Fangen Sie an etwas weniger als das gesetzliche erlaubte letzte Drittel des Schwanzes zu kupieren. Bleiben alle Schwänze heil über mehrere Durchgänge (> 3), gehen Sie einen Schritt weiter.
- Kupieren Sie nur noch wenige Zentimeter (z.B. 2-3 cm). Bleiben alle Schwänze heil über mehrere Durchgänge (> 3), gehen Sie einen Schritt weiter.
- Kupieren Sie nur noch die Schwanzspitze, den letzten Zentimeter. Bleiben alle Schwänze heil über mehrere Durchgänge (> 3), gehen Sie einen Schritt weiter.
- Tritt bei einem dieser Schritte Schwanzbeißen wieder auf, optimieren Sie die Haltungsumgebung in Ihrer Bucht nochmals. Versuchen Sie herauszufinden, wo die Ursache lag. Versuchen Sie es erneut mit der optimierten Umgebung. Erst wenn Sie unversehrte Schwänze in mehreren Durchgängen zuverlässig vermeiden können, gehen Sie zum nächsten Schritt über!
- Erst jetzt verzichten Sie vollständig auf das Kupieren der Tiere für ihre optimierte Bucht.
- Wenn Sie auch diesen Schritt gemeistert haben, können Sie beginnen weitere Buchten zu optimieren und die Anzahl der unkupierten Tiere zu erhöhen. Denken Sie wieder daran alle Beteiligten einzubeziehen.